Die #BeraterBeraterin
Was hat agiles Marketing mit Robert Habecks Mettbrötchen gemeinsam?
5. April 2022
Auch wenn es mittlerweile kaum einer mehr hören mag: Gerade in der Krise muss Kommunikation agil sein. Das gilt nicht nur fĂŒr die Regierung, sondern auch fĂŒr Unternehmensberatungen wie WirtschaftsprĂŒfungsgesellschaften. AgilitĂ€t alleine reicht allerdings nicht aus. Auch Schnelligkeit und Mut sind wichtig. Als #BeraterBeraterin stelle ich in meiner Consulting.de-Kolumne fĂŒnf Hebel vor, um Marketing und Kommunikation in der Consultingbranche agiler, schneller und mutiger zu machen.
Mahnt ein gestandener DAX-CEO in der FAZ âWollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören?â, ahnt man: Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bedeutet den Ausnahmezustand. BASF-Chef Michael BrudermĂŒller spricht von âirreversiblen SchĂ€denâ, der schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Seine Beschreibungen möglicher Kettenreaktionen auf den Stopp russischer Gaslieferungen zeigen:
Sicher modellieren lÀsst sich momentan wenig bis nichts in der Wirtschaft.
Und das hat auch Konsequenzen fĂŒr Marketing und Kommunikation von Unternehmensberatungen sowie WirtschaftsprĂŒfungsgesellschaften. In Friedenszeiten versprechen ihre Inhalte und Botschaften Planbarkeit und Beherrschbarkeit. Aktuell funktioniert das nur bedingt.
Was also tun in der Krise?
AgilitĂ€t ist ein Teil der Antwort â auch wenn das Wort niemand mehr hören mag. Und dennoch: Jetzt hilft nur Offenheit fĂŒr neues Denken, neue AnsĂ€tze und echte VerĂ€nderung.
Mindestens ebenso wichtig ist Geschwindigkeit. Bei der GröĂe vieler Marketingorganisationen ist das eine besondere Herausforderung. Sie Ă€hneln eher groĂen Tankern statt schnittigen Schnellbooten.
Und last but not least: Mut. Denn als Wirtschaftslenker wie Michael BrudermĂŒller trotz höchstem wirtschaftlichen Sachverstand Worte wie âunkontrollierbare Prozesseâ und âChaosâ zu verwenden, verlangt auch Mut.
Hier die fĂŒnf Hebel, um Marketing & Kommunikation im Professional Services agiler, schneller und mutiger zu machen.
1. Klassische Silos im Marketing sprengen
Im Oktober 2020 schrieb ich die Kolumne „Blackbox“ und empfahl dort, Silos aufzubrechen. Auf der einen Seite Marketing â das von Marketers, PR- und Social Media-Spezialisten gepusht wird. Auf der anderen Seite Sales/ Business Development fest in den HĂ€nden der Partnerschaft.
Anderthalb Jahre spĂ€ter sehe ich kaum groĂe VerĂ€nderungen. Getrieben durch die Pandemie hĂ€tte ich diese ehrlicherweise erwartet. Aber noch immer agieren viele Marketingteams in einem Vakuum. Kein Wunder durch die Distanz zum Business. Es fehlt der direkte Kontakt zu Klienten und Prospects.
Zudem herrscht in manchâ kleineren und mittelgroĂen Beratungen weiter das Vorurteil: Marketing kostet Geld, erwirtschaftet aber keines.
Silos jedoch verhindern schnelle Entscheidungen, verhindern schnelle AktivitÀten.
Kampagnen, die Beratungsmarken als MeinungsfĂŒhrer positionieren sollen, mĂŒssen heute am runden Tisch entschieden werden. Und morgen von Business Partnern auf Augenhöhe umgesetzt werden.
PR-Kollegen, die mir erzĂ€hlen, dass sie auf Mails an ihren CEO âvermutlich erst irgendwann nĂ€chste Wocheâ eine Antwort erhalten, haben schlechte Karten. Eine Standleitung wĂ€re jetzt angebracht.
2. Als professionelles Medienhaus denken und kommunizieren
Jedes Unternehmen solle sich als Medienhaus begreifen, heiĂt es.
Das verwirrt auf den ersten Blick. Auf den zweiten nicht. Letztlich erstellen auch alle Professional Services-Player Unmengen an Inhalten und teilen diese auf allen relevanten Plattformen.
Warum?
Jede Beratungs- und WP-Marke muss sich differenzieren und positionieren. Durch ĂŒberzeugenden Content gelingt das. Die Marke erhĂ€lt Sichtbarkeit, steigert die eigene Relevanz und lernt durch jede Interaktion ihre Zielgruppen noch besser kennen.
Aktuell gilt das um so mehr. Die Situation ist komplex. GefĂŒhlt dreht sich die Nachrichtenlage mehrfach am Tag. Wer seine Inhalte nicht in Newsroom-Manier stringent aufzieht, hat ein Geschwindigkeitsproblem. Und ein Akzeptanzproblem.
Lediglich den letztes Jahr geplanten Content-Marketing-Kalender abzuarbeiten, lĂ€uft ins Leere. Weder Journalisten noch Klienten sind auf Themen neugierig, die mit dem âJetztâ nichts mehr zu tun haben. Aus gutem Grund senden ARD und ZDF kontinuierlich âBrennpunkteâ und verschieben selbst Publikumslieblinge wie „Der Bergdoktor“.
Organisieren Sie daher lieber kurzfristige Webinare â gerne auch mit externen Experten â, senden Sonderausgaben Ihrer Newsletter oder kommunizieren via LinkedIn.
3. Snackable Content produzieren statt wuchtige Studien mit langen Vorlaufzeiten
In meiner Kolumne âThought Leadership fĂŒr Berater: Sie haben 60 Sekunden Zeit!â hatte ich fĂŒr erfolgreiche Studien u.a. empfohlen:
- Mehr Mensch, weniger Marke
- Meinung sticht ZahlenwĂŒste
- Petit Fours statt SchwarzwÀlder Kirschtorte.
Alle drei Tipps gelten weiter â auch fĂŒr die gesamte AuĂenkommunikation. Die VerĂ€nderungen sind in diesen Wochen so allumfassend, dass lange ProduktionsvorlĂ€ufe maximal kontraproduktiv sind.
Wenn etwa niemand weiĂ, ob Russland oder Europa den Gashahn abdrehen â oder nicht â macht es wenig Sinn, lange Umfragen unter Unternehmen vorzubereiten und diese in vier, fĂŒnf Monaten zu lancieren.
Hier helfen nur schnelle Formate in der beschriebenen Medienhaus-Manier. Und das in der Kombination âMenschen mit Meinungenâ. Positionieren Sie sich zu Zukunftsfragen. Denken Sie in âmehreren ZukĂŒnftenâ â wie es Bernhard Fischer-Appelt beschreibt.
4. Mut zu starken Botschaften beweisen
Haben Sie letzte Woche Robert Habeck bei âMarkus Lanzâ gesehen?
Egal wie Sie zu Politiker oder Moderator stehen: Clicken Sie einmal in die Sendung. Besonders diese Sequenz lohnt sich fĂŒr jene, deren Medientraining schon lĂ€nger her ist:
Selbst Armin Laschet bezeichnet den Stil Habecks auf Twitter als Beleg fĂŒr eine Zeitenwende.
Medienkritiker bezeichnen dies als âSternstunde der politischen Kommunikationâ. Auf LinkedIn geht der Ausschnitt seit Donnerstag viral.
Warum?
Hier spricht ein Politiker prÀzise und offen. Er weicht nicht aus, sondern gesteht klar:
Es gibt keine âsauberenâ Lösungen.
âDer Glaube ist, dass wir in Deutschland immer alles richtig machen und nur, wenn wir in Ausnahmesituationen nach Katar reisen und Gas kaufen, dann machen wir das GeschĂ€ft mit dem Teufel, mit dem Beelzebub. Wenn wir unseren Alltag leben, wenn wir unsere Autos tanken, wenn wir unser Hack aufs Mettbrötchen draufschmieren, immer sind wir auf der Seite der Guten? Das können nur Leute glauben, die noch nie im Schweinestall waren.â
Was Sie aus dieser Kommunikationsform ableiten können?
In Krisen- und Kriegszeiten auf Journalisten- oder Mitarbeiterfragen mit eigenen â alten â Narrativen zu antworten, funktioniert nicht. Wer immer nur vage formuliert, jede AngriffsflĂ€che vermeidet, verhindert Erkenntnisse.
Also: Seien Sie ehrlich. Vermeiden Sie Phrasen. Senden Sie starke Botschaften.
Und das wird belohnt. So wie letzte Woche einer meiner Klienten aus einer Big Four. Er war mutiger als ich. Ob seiner Klarheit und einigen Sprachbildern hatte ich etwas Bauchschmerzen. Er nicht. Damit erzielte er eine ganze Seite im Handelsblatt. Seine mutige Metapher wurde der Header â und das zum Besten der Markenpositionierung.
5. Emotionale Bilder samt BrĂŒckenschlag in die Geschichte
Mehr als sonst sind Wirtschaftslenker wie Politiker als âgroĂe Kommunikatorenâ gefragt. Das beweist seit Wochen der ukrainische PrĂ€sident Selenskyj. Die FAZ widmet seinen Reden und Videobotschaften ein ganzes Feature im Feuilleton âWie man den Infokrieg gewinntâ.
Die zentrale These: Es sei ein ganz neues Genre der politischen Kommunikation und ein neues Wir entstanden.
Warum ist Selenskyjs Kommunikation so erfolgreich?
Neben vielen Aspekten auch durch die historischen BrĂŒckenschlĂ€ge in seiner Kommunikation. Zutiefst bewegte er die Abgeordneten des britischen Unterhauses durch seine Referenz an eine berĂŒhmte Rede Winston Churchills wĂ€hrend des Zweiten Weltkriegs. Die Amerikaner berĂŒhrte er durch BezĂŒge zu ihrem 9/11-Trauma â dem Terroranschlag auf die Twin Towers. Und den Deutschen warf er nicht nur dreifach ihren Wirtschaftsfokus vor, sondern erinnerte sie an die Nazi-Verbrechen in Babyn Jar, wo am 1. MĂ€rz eine russische Rakete einschlug.
Was Sie als Berater oder WirtschaftsprĂŒfer daraus ableiten können?
Standard-Narrative, allgemeine Transformations- und Disruptionsbeschreibungen und Denglisch bleiben besser im Schrank. Vertrauen Sie stattdessen auf Ihre eigene, menschliche Sprache. Auch ein gewisses MaĂ an EmotionalitĂ€t ist angebracht, die idealerweise ĂŒber die âIch bin empörtâ-Formulierung des Bundeskanzlers bei Anne Will hinausgeht.
Nicht jeder kann auf einen Redenschreiber aus dem TV-Business wie Selenskyj zurĂŒckgreifen. Aber nahbar sein und seine Zielgruppen mitnehmen schon.
Fazit: Vergessen Sie das alte Krisen-Playbook: Setzen Sie besser auf agiles Marketing!
Die aktuelle Krise ist viel zu komplex, als dass man sie in Kommunikation und Marketing nach dem klassischen Krisen-Playbook abhandeln sollte. Stellen Sie besser (fast) jeden Tag alles auf den PrĂŒfstand. Wer jetzt Irrelevantes zu platzieren versucht, lĂ€uft nicht nur ins Leere, sondern riskiert seine GlaubwĂŒrdigkeit. Und die ist das höchste Gut eines âTrusted Advisorâ.