Die #BeraterBeraterin
Authentizität und Storytelling: Ein gefährlicher Balanceakt
30. August 2022
(Foto von Jorik Kleen auf Unsplash)
Was haben ein verheulter CEO, Finnlands feiernde Ministerpräsidentin, ein Top-Manager, der seine Alpenüberquerung vortäuscht und die Luxusuhr meiner #MBS-Klientin gemeinsam?
Den gefährlichen Balanceakt rund um Authentizität und Storytelling!
Beides sind wichtige Spielarten der Kommunikation. Aber falsch interpretiert, leider der sichere Weg zum Reputationsschaden.
Aber von Anfang an
Storytelling ist eine der ältesten Erzählarten der Welt. Auch im Business macht diese absolut Sinn. Wer Storytelling gezielt einsetzt, wird nahbar. Kunden-Beziehungen entstehen, die rein auf Fakten-Basis nicht vorstellbar wären.
Das gleiche gilt für Authentizität. Es macht CEOs und Top-Entscheider menschlicher. Es öffnen sich Gesprächsebenen, die bei Unternehmensbroschüren oder Power Point-Präsentationen verschlossen blieben.
Die Herausforderungen von Authentizität und Storytelling
Brauchen – und zum Teil leider auch für Tränendrüsen-Dramen „miss-brauchen“ – plötzlich alle durch Storytelling das Erzählschema der Heldenreise, wird es schnell langweilig.
Das gleiche gilt für eine misinterpretierte oder spaltende Authentizität. Am Ende bringt diese mehr Feinde als Freunde ein.
Hier vier aktuelle Beispiele.
Virale Authentizität: Der weinende Vorstandschef
Braden Wallake, CEO von HyperSocial, postete: “This will be the most vulnerable thing I’ll ever share”. Er ging als „The Crying CEO“ – der weinende Vorstandschef – viral.
Und das nicht nur auf LinkedIn, sondern auch in Leitmedien wie Washington Post oder FAZ.
Das eine Lager der knapp 11.000 Kommentierenden warf Wallake vor, er sei unsensibel, narzisstisch und ‚cringe‘. Angesichts von mehr als 68.000 entlassenen Mitarbeitern im Start-up-Bereich kritisierten den unpassenden Fokus auf dem eigenen Schmerz statt auf den entlassenen Mitarbeitern. „Das wirkt unbedarft, selbstverliebt und unauthentisch„.
Das andere Lager lobte ihn für seine Verletzlichkeit, Menschlichkeit sowie ‚raw honesty‘.
Meine ehrliche Meinung zum „Crying CEO“
Für mich ist dies eine Grenzüberschreitung beim öffentlichen Kommunizieren von Business-Entscheidungen und Fehleinschätzungen.
Nicht, dass man mir wie einem geschätzten Kollegen aus Booz-Tagen „toxic masculinity“ vorwirft. Natürlich darf jeder – gleich welchen Genders, Levels oder Alters – weinen!
Aber dieses auf LinkedIn zu posten, ist der falsche Weg. Im Worst Case unterstellt man einem billiges click baiting, sprich die Lust auf Reichweite durch die Kommerzialisierung des Leids Dritter.
Die spaltende Authentizität: Die groovende Ministerpräsidentin Sanna Marin
Das geleakte Video der groovenden Ministerpräsidentin Sanna Marin entfachte in klassischen Leitmedien ebenso wie in den Social Media ein Feuer, das seinesgleichen sucht. Tausende Menschen bekundeten ihre Solidarität á la „Brave Mädchen kommen in den Himmel, rockende überall hin“.
Der Hashtag #SolidaritywithSanna trendete. Videos tanzender Social Media-User gingen um den Globus. Rein exemplarisch: Der Post von Lea-Sophie Cramer, Multigründerin und Investorin. Ihr Tanz-Video kommentiert sie mit der Aussage „𝐌𝐚𝐧 𝐝𝐚𝐫𝐟 𝐏𝐨𝐥𝐢𝐭𝐢𝐤𝐞𝐫:𝐢𝐧 𝐬𝐞𝐢𝐧 𝐮𝐧𝐝 𝐠𝐥𝐞𝐢𝐜𝐡𝐳𝐞𝐢𝐭𝐢𝐠 𝐌𝐞𝐧𝐬𝐜𝐡 𝐛𝐥𝐞𝐢𝐛𝐞𝐧. Das eine tun, ohne das andere zu lassen.“
Sanna Marins Kritiker – besonders in Finnland – fanden es der Rolle unangemessen. Da Marin Alkoholgenuss zugegeben hatte, sahen die oppositionellen Christdemokraten gar die Sicherheit des Landes in Gefahr. Schließlich müsse eine Regierungschefin 24/7 ‚handlungsfähig‘ sein.
Um Ruhe in das – auch von russischen Trollen angeheizte – Geschehen zu bringen, unterzog sich Marin zwischenzeitlich einem Drogentest. Er war negativ.
Sanna Marins Statement „Ich hoffe, dass es im Jahr 2022 akzeptiert wird, dass auch Entscheidungsträger tanzen, singen und zu Partys gehen.“ unterstreicht die Krux und den Gender Bias. Warum sie ihre Handlungen als verhaltensauffälliger oder gar fragwürdiger machten als feiernde männlicher Politiker wie Trump, Johnson oder Orbán, ist offen.
Denn eigentlich…
- … zeigt das Video nur eine 36jährige, die tanzt.
- … ist es ein positives Symbol, dass sich eine Gesellschaft wandelt und sich dieses auch in der Politik reflektiert – eben á la Thomas Jefferson: “The government you elect is the government you deserve.”
- … verdeutlicht es, dass man/frau auch in hohen politischen Funktionen trotz aller Krisen ein Privatleben hat.
Kurzum:
Normalität, Sichtbarkeit, Identifikationspotential für alle mit Politikverdrossenheit sowie Authentizität – eben eine, die auch spalten kann.
Die kuratierte Authentizität: Die Luxusuhr meiner Klientin
Jüngst zeigte mir eine #MBS-Klientin ihre neuen Business-Portraits. Darauf trug die Top-Managerin, die lange erfolgreich Unternehmen aufgebaut hat, eine Luxusuhr.
Als Schmuckliebhaberin habe ich gejubelt. Als Positionierungsexpertin habe ich geschluckt.
Wir bauen sie gerade als starke Experten-Marke auf. Leider wird sie auch Journalisten treffen, die sich an Nebensächlichkeiten aufhängen. Ich habe ihr das Beispiel eines bekannten Wirtschaftsmagazins skizziert. Dieses „philosophierte“ in einem Business-Feature zu Tina Müller über ihre Roger Vivier-Schuhe sowie die Stoffqualität ihres Mantels.
Daraufhin haben wir uns – quasi präventiv – für Fotos ohne Uhr entschieden.
Mein flankierender LinkedIn-Post fragte „Richtige oder falsche Beratungsentscheidung!?“
Er ging viral. Die eine Hälfte konnte meinen Rat im Sinne der „sicheren“ PR-Positionierung nachvollziehen. Die andere Hälfte kritisierte mich ob meines Verstoßes gegen das Authentizitätsdiktat.
Wie in meiner #BeraterBeraterin-Kolumne „Authentizität: Warum der Hype darum im Marketing gefährlich ist“ im November 2020 beschrieben:
Manch‘ einer übersieht die mögliche Authentizitätsfalle. Jede, der medial unbeschadet auf Top-Managementlevel reüssieren will, benötigt eine professionelle Haltung sowie eine dem Anlass und Kontext entsprechende – eben kuratierte – Authentizität.
Wie raten Medientrainer: „Lassen Sie Ihr Inneres, wo es ist!“. Also lohnt es sich, den feinen Unterschied zwischen „authentisch wirken und authentisch sein“ zu beachten.
Storytelling – ein zweischneidiges Schwert
Storytelling ist in Kommunikation übersetzte Authentizität. Natürlich liebt jeder eine gute Geschichte. Hollywood verdient Milliarden mit dieser Erzählstrategie. Um auf dem neuesten Stand zu sein, habe ich gerade eine zehnwöchige Storytelling-Masterclass absolviert.
Dort wurde immer wieder der notwendige Brückenschlag von Contents zum Business betont. Dennoch philosophieren seit Monaten Dutzende Entscheider auf LinkedIn, was sie aus dem Spiel mit dem Lego ihres Kindes gelernt haben oder was ihre fünf Learnings aus jeder noch so trivialen Alltagsbegebenheit sind.
Welche Blüten der Hype von visuellem Storytelling treibt, zeigt der Fall eines Top-Managers.
Er ließ sich in einem Tesla eine Bergstrecke hochchauffieren. Schließlich stoppte er an einer Haarnadelkurve und hievte sein Rennrad aus dem Kofferraum. Dort sprühte ihm eine Mitarbeiterin mit einer Blumenspritze Ersatz-Schweiß ins Gesicht. Anschließend schoss sie seine „Bike-Bergtour-Bilder“ – faktisch ein knallharter Fake. Denn auf seinem Fahrrad hat er nie gesessen.
Richtig (und ehrlich) eingesetzt hilft starkes Storytelling, das Rennen um die Aufmerksamkeit zu gewinnen. Wer auf Emotionen in spannenden Narrativen baut, differenziert sich vom Wettbewerb.
Wie rät meine Kolumne „Modernes Storytelling: Was Berater von Cowboys lernen können“:
Erzählen Sie die richtigen Stories, erzählen Sie diese richtig, und erzählen Sie die passenden Geschichten an der entscheidenden Stelle!
Fazit: Die richtige Dosierung entscheidet über Ihre erfolgreiche Positionierung
Professional Services-Player stehen alle vor der gleichen Herausforderung: die Abstraktion. Weil Expertise allein kein USP ist, bedarf es in der Markenführung anderer Wege der Differenzierung. Die Erfolgsformel für eine erfolgreiche Positionierung lautet: „STRATEGIE x KONGRUENZ x PERSÖNLICHKEIT x KONZEPT x BOTSCHAFT“.
Richtig dosiert, sind Storytelling und Authentizität dabei wirksame Hebel. Aber den Bogen zu überspannen, bringt es nicht. Auch hier gilt: „Warum man im Consulting nicht jede Kuh durch’s Dorf treiben sollte“.
Autorin: Susanne Mathony
Die Positionierung von Marken und Menschen sind meine Leidenschaft. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebe ich mit CEO-Positionierung, strategischer Marketing- und Kommunikationsberatung, PR und Business Storytelling meine Berufung aus.
Hinzugekommen ist 2014 die Social Media-Beratung. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem #SocialCEO sowie dem Personal Branding und -Positioning von Vorständen und Teams auf LinkedIn.Meine Heimat ist Professional Services. Auf GSA- und EMEA-Ebene arbeitete ich u.a. für AlixPartners, Andersen Consulting (heute Accenture), Strategy& sowie Russell Reynolds Associates.
Als Politologin und ausgebildete Journalistin startete ich meine Karriere in einem Think Tank in Washington D.C..