Die #BeraterBeraterin
Authentizität: Warum der Hype darum im Marketing gefährlich ist
13. Mai 2024
Der Hype um Authentizität klingt nach dem Erfolgsrezept für eine gelungene Außenkommunikation.
ABER das Ganze hat seine Grenzen – vor allem, wenn es um die Trennung von Persönlichem und Privaten geht. “Fake it till you make it” mag in manchen Lebenslagen funktionieren. Als Erfolgsformel im Marketing sicher nicht.
Das weiß ich spätestens, seit ich Blut und Wasser schwitzend einen Gala-Abend hinter einem eingenickten CEO in einem Opernhaus saß. Warum mich das so belastete?
Gemeinsam mit Marketing-Kolleg*innen hatte ich den Deutschlandchef einer großen, internationalen Beratungsgesellschaft vom Gold-Sponsoring eines Musikfestivals überzeugt.
Unsere Hypothese:
Das Repertoire von Klassik bis Jazz sei so breit, dass jeder Industrieverantwortliche der Beratung mit seinen Klienten die richtige Musik auf einem der gesponserten Konzerte finden werde.
Zur Grundidee stehe ich heute noch.
Gut gewählte Sponsorings tragen zur Erhöhung von Markenbekanntheit und Kundenbindung im Professional Services bei. Dieses umso mehr, wenn es nicht das 100. Golfturnier-Engagement ohne Differenzierungspotenzial ist.
Was damals nicht ausreichend bedacht wurde, ist die Frage:
Passt das Sponsoring passgenau zum Markenbotschafter?
Trotz eines zweifachen Medientrainings klangen die Antworten des CEOs – ohne jegliche Musikleidenschaft – auf der Pressekonferenz, als seien sie auswendig gelernt. Was sie letztlich waren. Das Einnicken an einem Freitagabend nach einer 70 Stundenwoche plus Jetlag vom Partner-Meeting in New-York war sehr menschlich. Aber für die rechts und links von ihm sitzenden C-Level-Klienten leider etwas ernüchternd.
Spätestens seither ist der intensive Reality-Check – „Passt das Marketing-Konzept zum Unternehmen und zum individuell zuständigen Vorstand?“ – für mich ab dem ersten Brainstorming die oberste Prämisse.
Facebook-Posts auf LinkedIn: Die Pandemie verwischt Grenzen
Spätestens in der Pandemie stolperte ich über immer mehr Führungskräfte und Vorstände in den Sozialen Medien, die vermehrt Persönliches posteten.
Etwa eine Verlagsgeschäftsführerin, die ihren Arbeitsweg per Fahrrad posted.
Ihr „Zumindest wieder Lockdown-Wetter heute!“ bekommt 975 likes.
Oder die CEO eines Beautykonzerns, die selbstgezüchtetes Gemüse aus dem eigenen Schrebergarten promoted und dafür mehr als 3.100 likes erhält.
Oder den Chef einer Unternehmensberatung, der für seinen Jogging-Post knapp 130 likes einsammelt, aber für seine Thesen zur Rolle der Aufsichtsräte in der Krise nur 80 likes.
Das passt perfekt zum viralen Hit der Pandemie
Lauren Griffiths ist eine HR-Mitarbeiter*in von Cisco. Bis September 2020 war sie vollkommen unbekannt. Doch dann änderte sie ihr Profilbild – vom klassischen Business Look zum Casual Look.
Dafür erhielt sie unfassbare 889.000 likes.
In ihrem Post argumentiert sie:
„Die heutige Homeoffice-Welt hat die Grenzen zwischen meinem beruflichen und meinem persönlichen Selbst verwischt, und das will ich mit meinem neuen Profilbild zum Ausdruck bringen.“ Der SPIEGEL griff den Reichweitenhit auf: „Businessfotos in der Coronakrise: Warum 23.000 Menschen über diese Profilbilder diskutieren“.
Auch wenn ich mich nun unbeliebt mache:
Das sind Themen, die auf Facebook gehören, nicht auf LinkedIn!
Warum wird Persönliches auf einem Business-Kanal lanciert? Vielleicht bewusst, um den Algorithmus zu pushen. Oder schlichtweg, weil hier die Definition von Authentizität unwissentlich ‚überdehnt‘ wird.
Authentizität als Megatrend – und dessen Grenzen
Der Ratschlag, möglichst ‚ehrlich‘ zu sein, ‚zu sich selbst zu stehen‘, ist allgegenwärtig. Egal ob in Blogs, Büchern oder in Coachings. Alle sollen möglichst ‚authentisch‘ sein – egal ob in Politik, Wirtschaft oder Kultur. Egal ob als normaler Arbeitnehmer oder als Top-Entscheider – gleich ob beruflich oder privat.
So wird immer wieder Metro-CEO Olaf Koch Satz zitiert „Wichtig ist, sich selber treu zu bleiben.“ oder Peter Terium (Ex-CEO Innogy) mit ‚er wolle führen, ohne an Authentizität zu verlieren‘.
Auf den ersten Blick klingt dies nach dem Erfolgsrezept für eine gelungene Außenkommunikation.
Besonders für Wirtschaftsprüfer, Strategieberater und Anwälte ist Differenzierung die zentrale Herausforderung – sowohl im Corporate als auch im Personal Branding. Und das wird gerade bei Commodity-ähnlichen Beratungsleistungen immer schwieriger.
Natürlich helfen persönliche Nuancen neben Fachinhalten. So ist Storytelling eine gute Strategie, denn:
Persönliche Markengeschichten von Menschen für Menschen schaffen Verbundenheit. Wichtig dabei ist das konsequente Trennen von Persönlichem und Privaten sowie das Ausloten der Grenzen der Authentizität.
Zwei wichtige Bücher zum den Grenzen von Authentizität
Besonders in meinen Medientrainings – aber auch bei CEO Positioning-/Personal Branding-Projekten von Professional Services-Entscheidern auf LinkedIn – verweise ich gerne auf zwei Bücher:
- Rolf Dobelli „Die Kunst des guten Lebens“ – sowie
2. Stefan Wachtel „Sei nicht authentisch!: Warum klug manchmal besser ist als echt“.
Bei Rolf Dobelli reizt mich seine These der Authentizitätsfalle. Sein Tipp: Jeder sollte sich eine zweite Persönlichkeit für die Außenwelt schaffen, eine Art ‚Außenminister‘.
Er definiert das als „professionelle, konsistente, zuverlässige Haltung nach außen.“ Der Rest sei „für das Tagebuch, den Lebenspartner oder das Kissen“ reserviert.
Stefan Wachtel ist sowieso Pflichtlektüre. In seinem Buch demontiert der Medientrainer die Authentizitäts-Ideologie. Danach solle man deutlich mehr als ‚man selbst‘ sein.
Wachtels Rat: „Lassen Sie Ihr Inneres, wo es ist!“
Stattdessen ist er ein Verfechter von professionell ausgearbeiteten Rollen qua Training.
Wie schreibt er treffend:
„Der Topmanager wird nicht dafür bezahlt, dass er sich auf sein ’natürliches Talent‘ verlässt und bei der Bilanzpressekonferenz das sagt, was ihm gerade in den Sinn kommt. […]
Wenn wir an unserem Eindruck arbeiten, schlagen wir die ‚fachlich‘ Guten.“
Fünf Tipps für den Balanceakt zwischen Authentizitätsdogma und Reputationscrash
- Seien Sie sich bei jeder Marketing- und Kommunikationsaktivität der Grenze zwischen Persönlichem und Privatem bewusst.
Letzteres gehört nicht in den professionellen Außenauftritt. Ersteres auch nur sorgfältig dosiert.
Dieses schließt nicht aus, dass Sie mit langjährigen Klienten auch Privates bei einem Dinner teilen. Aber das bleibt – um im PR-Jargon zu bleiben – „unter drei“ und hat nichts mit Marketing zu tun.
- Wenn Sie sich dazu entschließen, Persönliches in ihre Außenkommunikation – etwa auf LinkedIn – zu integrieren, denken Sie vorher dreimal über Inhalte und Botschaften nach.
Was ist Ihnen ultimativ wichtiger:
Das Sammeln von Likes?
Oder das strategische Kuratieren einer ‚Persona‘ zum Nutzen Ihrer Beratung oder WP-Gesellschaft?
Vergessen Sie nie: Das Netz vergisst nichts. Also haben Sie Ihre Narrative besser stets im Griff.
- Überlegen Sie sich, ob Ihr ‚innerer Außenminister‘ Ihr ‚Reputationsbodyguard‘ sein könnte.
Dieser wäre in der Öffentlichkeit Ihr innerer Kompass.
Wenn Sie zusätzlich einen Kommunikationsprofi an Ihrer Seite haben, dem Sie 100% vertrauen und dem Sie wirklich auf Augenhöhe begegnen: Umso besser!
- Authentizität und individuelle Passung sind wichtig.
Lassen Sie daher konsequent die Finger von allen Marketing-Themen und -Projekten, die Sie nicht im geringsten interessieren. Wer im Privaten viel Sach- und Wirtschaftsbücher liest, kann überzeugend einen Wirtschaftsbuchpreis im Namen einer Beratungsgesellschaft verleihen. Er/sie hält dann nicht nur eine überzeugende Laudatio, sondern kann im Klientengespräch die Fäden weiterspinnen.
Wo das nicht der Fall ist, sondern sich die Lektüre auf Börsen-Zeitung und Handelsblatt beschränkt: Suchen Sie sich besser ein anderes Feld.
sowie last but not least: - Halten Sie es wie die Profis; d.h. trainieren, trainieren, trainieren.
Wer Rhetorik und Auftreten des Ehepaars Obama als super-authentisch lobt, ist ggfls. etwas naiv. Beide haben mit Experten in ihren Stäben mehr Zeit in Medientrainings investiert, als je ein anderes US-Präsidentenpaar zuvor.
Haben Sie Stefan Wachtel im Ohr und bedenken den Unterschied zwischen Ausdruck und Eindruck bzw. dem zwischen Authentisch wirken und Authentisch sein. Definieren Sie sauber für sich, wie Sie wahrgenommen werden möchten. Das bewahrt vor schmerzhaftem Imageschaden.
Fazit: Der Hype um die Authentizität beruht zum Teil auf einem Missverständnis.
Wer sich selbst und seiner Personen- und/oder Unternehmensmarke etwas Gutes tun möchte, verfolgt besser geschmeidig die Taktik des professionellen Chamäleons. Die Makellosigkeit Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit ist das wertvollere Gut als die Anzahl Ihrer Likes.
Autorin: Susanne Mathony
Die Positionierung von Marken und Menschen sind meine Leidenschaft. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebe ich mit CEO-Positionierung, strategischer Marketing- und Kommunikationsberatung, PR und Business Storytelling meine Berufung aus.
Hinzugekommen ist 2014 die Social Media-Beratung. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem #SocialCEO sowie dem Personal Branding und -Positioning von Vorständen und Teams auf LinkedIn.Meine Heimat ist Professional Services. Auf GSA- und EMEA-Ebene arbeitete ich u.a. für AlixPartners, Andersen Consulting (heute Accenture), Strategy& sowie Russell Reynolds Associates.
Als Politologin und ausgebildete Journalistin startete ich meine Karriere in einem Think Tank in Washington D.C..