Partylook oder Jogginhose – Modedesigner spekulieren über Post-Pandemie-Trends
22. März 2021
Feature von Barbara Markert, Partnerin Mathony Brand Strategists auf profashionals.de
In der Mode herrscht derzeit eine Stimmung wie sonst nur an der Rohstoffbörse. Die aktuellen Winterschauen spekulieren sowohl auf einer Forstsetzung wie auch auf ein Ende der Pandemie. Die Frage ist nur: Welche Strategie führt zum Gewinn?
Ein bisschen Studio 54, ein bisschen Rockstarambiente, etwas Jerry Hall Mitte der 70er und ein vergessener Film von Claude Chabrol über die Bourgeoisie. Das sind die Zutaten der Erstkollektion des jungen deutschen Designers Georg Lux für das Pariser Modehaus Leonard. Im prachtvollen Showroom mit goldenen Wandvertäfelungen stehen ganz in diesem Sinne Roben mit glänzendem Lurex, tiefen Ausschnitten hinten, ebenso gewagten Ausschnitten vorne, dazu opulente Schleifen und viel Pariser Eleganz.
„Wir müssen versuchen, die Lebensfreude zurück zu bringen“,
seufzt Lux und fasst mit einem Satz zusammen, welche Idee hinter seiner Kreation steht:
„Wir wollen doch alle nur eines: Endlich mal wieder ausgehen!“
Auch seine Chefin, Nathalie Tribouillard, CEO von Leonard, ist überzeugt:
„Die Leute haben genug davon, sich die Jogginghose anzuziehen.“
Ist das wirklich so? Oder anders gefragt: Können wir denn, wenn die neue Wintermode 2021-22 in den Handel kommt, also im Sommer, überhaupt ausgehen? Angesichts ständig aufpoppender Mutanten des Virus und neuer Lockdown-Diskussionen, ist das ggfls. eher ein frommer Wunsch denn die Realität. Als die aktuellen Kollektionen entworfen wurden, verbreiteten die Forschungserfolge bei den Impfstoffen noch eine gewisse Euphorie, dass wir dem Ende der Pandemie nahe sind. Doch bereits heute sieht die Lage anders aus – und wahrscheinlich morgen wird sie sich ggfls. erneut geändert haben.
Wir leben in einer Zeit mit zu vielen Unbekannten, um konkrete Vorhersagen treffen zu können
Die Modeindustrie, die ansonsten den Zeitgeist wiederspiegelt, ist vor die Herausforderung gestellt, dass sich genau dieser Zeitgeist von Woche zu Woche verändern kann.
Wann also werden wir wirklich wieder ausgehen?
Und was tragen wir dann?
Ist der Casual-Look dann so hoffähig geworden, dass wir im drei-Sterne-Restaurant mit einer Kaschmir-Pants zu Luxus-Sneakern passend angezogen sind? Oder gibt es dann Hybrid-Looks aus Jogging mit High-heels oder Trainingshose zum Sakko? Vielleicht lassen wir es auch dann modisch wieder so richtig krachen – mit Glitzer, Glimmer und bodenlangen Abendroben? Im Büro, das wir nur noch sporadisch aufsuchen, punkten wir in formeller Businessmode mit Krawatte, Dreiteiler und Damenkostüm statt Casual-Friday-Outfits? Oder kaufen wir nur noch Vintage, weil uns nach monatelanger Kurzarbeit die finanziellen Mittel fehlen oder weil wir das übrige Geld eher in einen Urlaub auf den Malediven statt in Designer-Handtaschen investieren?
All‘ das sind reine Spekulationen
Daher gleicht die aktuelle Situation in der Mode gerade dem Handel an der Rohstoffbörse. Statt auf steigende oder fallende Kurse mit Schweinebäuchen, Sojabohnen, Kakao oder Weizen, setzen die Designer auf Kuschel-Garderobe contra Glamour-Show-off, Minimalismus contra Opulenz und Business contra Casual. Doch genauso wie an der Rohstoffbörse birgt dieses Geschäft hohe Risiken.
Setzt man auf eine Karte, wie Leonard zum Beispiel mit seiner Kollektion für elegante Partygänger, Brunello Cucinelli, der mit seiner gelungenen Luxusversion von Homewear an eine Fortsetzung der Pandemie glaubt, oder Dolce & Gabbana, die mit einer kunterbunten Edel-Sportswear unseren Hunger nach Exzentrik befriedigen wollen, kann dies entweder zu hohen Gewinnen oder starken Verlusten führen. Die eigentlich charmante Idee einer konkreten Inspiration, die zur Kollektion eine Geschichte erzählt, wird in dieser Zeit zu einem hochspekulativen Optionsschein, von dem man besser die Finger lassen sollte. Zu hoch sind die Risiken, auf den Kreationen sitzen zu bleiben, weil sie eben nicht exakt dann, also bei Auslieferung an den Handel und Online-Shop, dem aktuellen Zeitgeist entsprechen.
Wie an der Börse fährt man als Einkäufer vielleicht besser mit einer Risikostreuung
Kollektionen haben vielleicht nicht mehr nur eine einzige Inspirationsquelle, sondern mehrere. Sie erfüllen die Wünsche derjenigen, die ihre Jogginghose nicht mehr aufgeben, wie auch derjenigen, die sich endlich mal wieder richtig rausputzen wollen. Etro, Isabel Marant, Gabriella Hearst, Proenza Schouler und allen voran Louis Vuitton ist dieser modischen Spagat gelungen. Was auch immer die Zukunft bringt, ob nächste Covid-Welle oder überbordende Feierlaune, die Kollektion kann passende Teile dazu liefern: Es gibt Wohlfühl-Sweater in XXL, das enganliegende Partykleid und (!!) das schlichte Outfit für die nächste Business-Live-Konferenz.
Dass diese Strategie modischer Kreation für noch einige Saisons erfolgsversprechend ist, darauf kann man nun spekulieren. Oder auch nicht.
Autorin: Barbara Markert
Seit rund 25 Jahren berichte ich über Mode – als Wirtschaftsjournalistin für die Publikums- und Fachpresse wie auch als Content-Creatorin für Mode- und Accessoires-Brands. In meinem Leben habe ich rund 5000 Modeschauen auf den internationalen Fashionweeks besucht. Als Wahl-Pariserin sitze ich an der Quelle der Trends und präsentiere diese Branche mit Leidenschaft und wirksamem Storytelling. – Ich weiß um die aktuellen Topthemen und Herausforderungen dieser Industrie, wie Digitalisierung, Diversity & Inclusion, Gen-Z-Ansprache oder Nachhaltigkeit. Seit Jahren setze ich mich für einen bewussteren und besseren Modekonsum ein.