Video Games, das neue gelobte Land der Mode
19. März 2021
Grosses Feature von Barbara Markert, Partnerin Mathony Brand Strategists, in „The Spin-off“
Die Modebranche entdeckt die Welt der Videospiele und hofft, hier die kommende Zielgruppe der Generation Z an sich binden zu können.
Jeder dritte Mensch auf der Welt spielt Video Games. Eine Zielgruppe, die neu im Visier der Modeindustrie steht und die sich nun dem Gaming öffnet
Ein weißes Häschen hoppelt in den Wald und trifft dort, zwischen Moosen, Farnen und Bäumen, tanzende Menschen. Ein Bächlein plätschert, die Leute sind gestylt und cool. Die Szene stammt aus dem Video-Game „Afterworld: The Age of Tomorrow„. Es ist eine in fünf Szenen gegliederte Zukunftsvision, in der gut gekleidete Menschen durch eine imaginäre Großstadt des Jahres 2031 flanieren, später in wilder Natur feiern und dann einer modernen Jungfrau von Orleans in silberner Ritterrüstung Platz machen, die mit einem Schwert in der Hand dem Sonnenaufgang über einer Bergwelt entgegensieht. Das Videospiel, das Balenciaga kurz vor Jahresende herausbrachte, hat nicht unbedingt eine echte Storyline zu bieten, sondern dient vor allem dazu, die kommende Winterkollektion 2021 zu zeigen.
In Zeiten der Pandemie, abgesagter Fashionshows und virtueller Modewochen suchen viele Modefirmen nach neuen Möglichkeiten der Präsentation und Kommunikation. Abgefilmte Catwalk-Shows, kunstvolle Filme oder eben virtuelle Lösungen bieten Alternativen, aus denen die passende Form gewählt werden will. Balenciaga-Designer Demna Gvasalia hatte hierzu eine klare Meinung: „Ich hasse die Idee eines Modefilms. Ich finde das überholt.“ Dass seine Wahl auf ein Videospiel fiel, verwundert kaum, denn dieses Genre erlebt gerade einen echten Hype.
2,7 Mrd. Menschen spielen heute Videogames – ein Markt von 160 Mrd. US$
Die Covid-Krise, die damit verbundenen Lockdowns und auch die Absage wichtiger Sportevents wie NBA und Major League Baseball haben den e-Sport- und die Gaming-Industrie befeuert. Durch unseren Alltag vor dem Computer ist uns die virtuelle Welt immer näher gekommen. Viele Menschen versuchen auch, mit digitalen Spielen dem Stress und der Depression des Lockdown zu entfliehen.
Dazu kommt, dass sich die Akzeptanz gegenüber dieser Freizeitbeschäftigung stark verändert hat. Gaming, das seine Anfänge in den 1970er-Jahren hatte, wird heute bereits in der zweiten oder sogar dritten Generation gespielt.
Van Burnham, Autorin des Buches „Supercade: A Visual History of the Videogame Age“, fasst diese Entwicklung so zusammen: „Der Prototyp des Nerd hat sich entwickelt und zwar bis zu dem Punkt, dass er sehr stilbewusst geworden ist. Es ist heute cool, Games zu spielen.“ Das beweisen auch die Zahlen. Schätzungen zufolge spielen heute rund 2,7 Milliarden Menschen Videogames. Das sind fast 40% der Weltbevölkerung. Die Analytiker von NewZoo und Statistica beziffern den Spielemarkt aktuell auf 160 Milliarden US Dollar, mit jährlichen Zuwächsen von 9 % und mehr. Bereits 2023 soll die 200 Milliarden-US Dollar-Grenze geknackt werden. Damit bewegt sich diese Industrie in der Liga der ganz Großen, wie der Film- und Musikbranche.
Ein Markt, bei dem auch die Mode gerne mitverdienen möchte – gerade in den schwierigen Zeiten der Pandemie und auch angesichts der sich mehrenden Skandale als weltweit zweitgrößter Umwelt-Verschmutzer.
Wer nicht mehr shoppen gehen kann, weil die Läden zu sind, oder nicht mehr shoppen möchte, weil es unter einer neuen Gruppe von Konsumenten als Schande angesehen wird, umschrieben mit der schwedischen Bezeichnung „Köpsgkam“, kann in Videgames seine Leidenschaft für Kleider weiter und mit guten Gewissen ausleben. Virtuelle Mode ist weniger umweltbelastend und führt auch nicht zu Gesellschaftskritik.
Viele Gamer berichten, dass sie sich modisch eher in der virtuellen als in der realen Welt austoben, sich dort mehr trauen oder ihren Avatar in Marken kleiden, die sie sich sonst nicht leisten können. Der Gesamtmarkt virtueller Skins wird – laut einer Studie laut Juniper Research – bereits in zwei Jahren 50 Milliarden Dollar umsetzen, Tendenz steigend.
„Mode ist eine wichtige Form, sich in einem Spiel auszudrücken“, meint auch Lyndsay Pearson, General Manager des Games „The Sims“. Das Simulationsspiel, seit 2000 auf den Markt, ist ein beliebter Kooperationspartner für Modefirmen. Moschino arbeitet schon länger mit ihnen zusammen, so wie Louis Vuitton mit „League of Legends„, das acht Millionen Gamer begeistert. Beide Marken entwerfen nicht nur „reell existierende“ Capsule-Kollektionen, die zum Spiel passen, sondern auch virtuelle Outfits oder Figuren. Louis Vuittons Avatare Qiyana und Senna sind inzwischen fest verankert im Spiel und zieren in der „echten Welt“ Schlüsselanhänger und Armbänder der limited edition. Während eine Jogginghose aus der realen Kollektion rund 1.000 Euro kostet, kann man ein digitales Outfit von Louis Vuitton im Game bereits für acht bis zwölf Euro erwerben. Ein schlauer Schachzug der Pariser Edelmarke war es auch, einen Koffer für den Pokal der „League of Legends“-Weltmeisterschaft zu entwerfen. Das Finale des wichtigen Gaming-Events zog zuletzt 100 Millionen Zuschauer an.
Eine Positionierung in Video-Games erschließt für die Luxusbranche ganz neue Zielgruppen
Aber nicht nur für sie. Selbst ein eher modisch konservatives Unternehmen wie Longchamp hat das Potential erkannt. Zur Fashionweek in Paris im Oktober 2020 lancierte der Täschner eine Kollektion mit „Pokemon Go“ und deren bekannten Kreatur Pikachu. Neben echten Taschen gab einen virtuellen Rucksack, der in das Spiel integriert werden konnte. Sophie Delafontaine, Kreativdirektorin: „Gaming ist heute eine neue Art, sich kreativ auszudrücken. Wir wollten zeigen, dass dieses Universum mit unserem Universum des Savoir-Faire zusammen passen kann.“ Hintergrund des Engagements ist natürlich auch, die ansonsten schwer zu erreichende Zielgruppe der 15- bis 24-Jährigen zu umgarnen und sie früh an die Marke zu binden.
Denn die jungen Konsumenten sind die Käufer der Zukunft. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company wird die Generation Z bzw. der Digi-Sapiens bis zum Jahr 2035 rund 40% der Umsätze generieren. Um sie anzusprechen, reicht ein Mix aus traditionellen Medien und Social Media oft nicht mehr aus.
Auch Sportmarken, die bereits mit der Generation Z bzw. den Digi-Sapiens vertraut sind, engagieren sich
Die US-Marke Champion hat deshalb extra eine Kollektion für Gamers entwickelt. Die Hoodies, die sich auf den ersten Blick nicht von einem 08/15-Sweater unterscheiden, haben spezielle übergroße Kapuzen, die auch über ein Headset passen, Taschen für Konsolen, Kreditkarte, sowie einen Klettverschluss, an dem die Team-Embleme für Wettbewerbe befestigt werden können. AAPE by Bathing Ape hat sich wie Louis Vuitton mit League of Legends für eine virtuelle und reale Kollektion zusammengetan. Sportartikler Nike kooperiert mit „Epic Games„ für die Positionierung des Kultschuhs Jordan im Spiel Fortnite Battle Royal und bietet dort auch zwei komplette Skins an. Fortnite gilt mit 250 Mio. Usern als eines der erfolgreichsten Videospiele überhaupt. Adidas entschied sich für das Fußball-Game FIFA, ebenfalls ein Bestseller, und bietet mit Adidas GMR eine neue Technologie an, die virtuelle und reale Welt verbindet: Mit einem Chip, der in den Fußballschuh integriert wird, kann die eigene Leistung in die virtuelle Welt übertragen werden.
Outfits von Supreme, Off-White, Gentle Monster, Craig Green, GCDS, Gemo, Fila und vieler anderer Luxusmarken wie Chanel, MCM, Valentino, Maison Margiela, Prada etc. tummeln sich auf den virtuellen Inseln des erfolgreichsten Gaming-Newcomer des Jahres 2020, dem Spiel „Animal Crossing„. Das Nintendo-Spiel aus dem Jahr 2001 wurde mit dem Titel „New Horizons“ neu aufgelegt und hat innerhalb von 9 Monaten bereits 26 Mio. Mal verkauft. Die heile Welt der niedlichen Animal Crossing-Bewohner scheint die neue Gaming-Spielwiese der Modebranche zu werden. Nur hat die Zusammenarbeit einen Haken: Nicht nur die Marken selbst, sondern jedermann kann dank der Funktion ‚Pro Design‘ seine Looks generieren. Zwar bieten viele Modehäuser inzwischen Codes zum Downloaden an, aber sie haben keine Kontrolle über die Nutzung ihrer Logos und Kult-Outfits, die von anderen Spielern entworfen werden. Entwickler wie Kara Chung, die mit ihrem erfolgreichen Instagram Account „Animal Crossing Fashion Archive“ berühmt wurde, wird heute bereits von den Marken mit der virtuellen Umsetzung ihrer Kollektionen in die „Animal Crossing“-Welt beauftragt. So entwarf sie zuletzt die Isabel Marant Outfits, die zum Start der neuen Net-a-Porter Insel in „Animal Crossing“ angeboten werden.
Fazit
Der Nintendo-Verkaufsschlager dient daher den meisten Marken eher als Plattform, um im Bereich Gaming Präsenz zu zeigen statt als ein Umsatzgenerator. Gleiches gilt für kurzfristige Auftritte in die Spielewelt, wie die 5-Tage-Koop von Versace zum Complexland-Festival, dem einwöchigen Longchamps-Event mit Pokemon Go oder auch der eingangs erwähnten Balenciaga-Präsentation. Deren Gaming-Funktion wurde nach nur acht Tagen wieder abgeschaltet und machte einem Video Platz. Auch zeigt sich, dass Versuche der Marken, sich selbst als Gaming-Anbieter zu positionieren, meist mit wenig Erfolg gekrönt sind: Weder Guccis „Arcade“, noch Burberrys „B Bounce“, noch das Spiel von „Coperni“ aus dem Winter 2019 oder Louisaviaromas „Mod4“ haben es geschafft, eine echte Zielgruppe für sich zu gewinnen.
Auch wenn dieser neue Spiele-Markt groß und verlockend ist, so ist zu beachten, dass Gamer extremst vernetzt, informiert und anspruchsvoll sind. Sich hier Eintritt und Akzeptanz zu verschaffen, gelingt daher eher durch Kooperationen mit Branchenkennern, die mit den dort herrschenden Kommunikations-Codes vertraut sind und diese virtuelle und sehr spezielle Kultur verstehen und leben.
Autorin: Barbara Markert
Seit rund 25 Jahren berichte ich über Mode – als Wirtschaftsjournalistin für die Publikums- und Fachpresse wie auch als Content-Creatorin für Mode- und Accessoires-Brands. In meinem Leben habe ich rund 5000 Modeschauen auf den internationalen Fashionweeks besucht. Als Wahl-Pariserin sitze ich an der Quelle der Trends und präsentiere diese Branche mit Leidenschaft und wirksamem Storytelling. – Ich weiß um die aktuellen Topthemen und Herausforderungen dieser Industrie, wie Digitalisierung, Diversity & Inclusion, Gen-Z-Ansprache oder Nachhaltigkeit. Seit Jahren setze ich mich für einen bewussteren und besseren Modekonsum ein.