Der geteilte Mythos von Porschefahrern und Unternehmensberatern

Die #Beraterberaterin

Der geteilte Mythos von Porschefahrern und Unternehmensberatern

17. September 2020

Susanne Mathony - Porsche - Mythos
Foto credits: Andreas Pohlmann (Portrait) sowie Alexander Boon/ Unsplash (Porsche-Bild)

Da ist es wieder. Das nicht totzukriegende Klischee.

Das der oberflächlichen BWL-Schnösel privater Business Schools, die am Montag-Morgen mit ihren Tumi-Rollkoffern den Red-Eye-Bomber um 7 Uhr nehmen und dann Unternehmen MIT Excel und Powerpoint – aber OHNE Herz – auf den Kopf stellen.

Jobvernichtung mit dem spitzen Rotstift – aka Lenovo-Laptop – inklusive.

Worauf ich mich beziehe?

Eine aktuelle Studie! Diese belegt Unternehmensberatern in Deutschland den schlechtesten Wert beim Berufsprestige.

Für nur 1% der Befragten war dies ein angesehener Beruf.

Ehrlicherweise kann ich nach 23 Jahren in der Branche, die meine berufliche Heimat ist, das Klischee (fast) nicht mehr hören. Am liebsten würde ich achselzuckend darüber hinweggehen.

Aber als Marketer komme ich um die Erkenntnis des US-amerikanischen Politik-Strategen Lee Atwater – „Perception is reality“ – nicht herum.

Als Kommunikationsprofi bin ich sensibilisiert dafür, dass Wahrnehmung und Realität nicht kongruent sind; sprich Markenidentität und Markenimage stark auseinanderklaffen können.

Also muss ich mir die Studie ansehen. Auch um zu wissen, in welchem Meinungsklima meine Professional Services-Klienten kommunizieren und sich positionieren.

Kurz die Fakten

Die Studie „OpinionTRAIN 2020“ unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Krämer hat die Wahrnehmung von Unternehmensberatern in der Öffentlichkeit untersucht. Der Scope waren Deutschland, Österreich, Schweiz und Schweden. Das Kernergebnis: Die erwähnten 1% – und damit der schlechteste Wert beim Berufsprestige noch hinter Rechtsanwälten und Steuerberatern.

Für 43% der Befragten war der Job des Unternehmensberaters negativ besetzt. Dabei ist das Negativ-Image besonders in Deutschland stark verbreitet. In Schweden sagen dieses nur 22%, in der Schweiz nur 28% der Befragten.

Woher kommt diese heftige Ablehnung?

Sicherlich spielt auch der Befragungszeitraum eine Rolle. Die Interviews erfolgten zwischen dem 4. und 14. Mai 2020; d.h. in der Woche des Reopening nach dem COVID19-Lockdown in Deutschland.

Insofern überrascht die Top 5 der Beliebtheitsskala nicht:

Krankenschwester/Pflegepersonal, Arzt, Feuerwehmann/-frau, Polizist sowie Verkäufer/in. Diese Berufsgruppen waren – und sind – systemrelevant. Das aber sprechen nur 24% den Unternehmensberatern zu.

Wie sehr die Schere zwischen Wahrnehmung und Realität klaffen kann, zeigt das (vermeintliche) Paradoxon: Zwar ist nur für das zitierte 1% der Beruf positiv belegt, aber 16% könnten sich vorstellen, diesen auszuüben. In Schweden sagt das sogar jeder vierte Befragte.

Entweder waren hier statistisch überproportional viel Liebhaber des ‚bad boy‘-Image unterwegs oder solche, die die Profession doch (heimlich) bewundern. Dafür spricht auch der Blick in die Alterskohorten: Hier wären 29% der unter 30jährigen interessiert an dem Job.

Problem 1: Unternehmen brauchen Unternehmensberatungen, erachten ihr Image aber lediglich als sekundär

In der ‚Bibel‘ der Strategieberater – die Rankings der führenden Managementberater des WGMB hält das Kriterium ‚Allgemeines Ansehen‘ die Schlusslaterne. Und das konstant für die Jahre 2011 bis 2018. Bei der Auswahl der geeigneten Berater sprachen 55% der Entscheider dem Ansehen nur eine mittlere bis sehr geringe Relevanz zu.

Hingegen sind die Top-3 Umsetzungsfähigkeit, Vordenkertum sowie Branchenkenntnisse.

Kurzum: Unternehmen wollen einen Sparringspartner an ihrer Seite, um Probleme zu lösen. Oder wenn es um massive Krisen geht, erfahrene Teams, die das Unternehmen retten. Also quasi als Notarzt agieren – und das nicht in der Theorie, sondern vor Ort und mit ‚skin in the game‘. Und hier haben sie tiefes Vertrauen in ihre Berater of choice – komplett anders als in der OpinionTRAIN-Studie. Hier haben dies nur 13% der Befragten. Unternehmen kaufen Beratungsleistung im Vertrauen und in gutem Glauben. Daher ist die Vertrauenswürdigkeit und -bildung für Professional Services Player wie Strategieberatungen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder Executive Search-Berater noch geschäftsentscheidender als für Produktmarken.

Problem 2: Die ‚Zusprechung‘; sprich hier reden viele wie der Blinde von der Farbe

29% der Befragten in „OpinionTRAIN 2020“ gestehen: Sie kennen den Beruf des Unternehmensberaters gar NICHT. Die Google-Suche „Unternehmensberatung Klischee“ ergibt mehr als 18.000 Treffer. Da verwundern die zugesprochenen Karriere-Attribute nicht wirklich.

Die Top-3 lauten:

  • Karriereorientiert (70%)
  • Erfolgsorientiert (68%)
  • Durch Geld motiviert (68%).

Am Ende der Richterskala liegen:

  • Vertrauenswürdigkeit (wie beschrieben)
  • Sozial engagiert (nur 9% Zuschreibung).

In der Realität wiegt der finanzielle Aspekt beim Wunsch bei McKinsey, BCG, Bain & Co. einzusteigen, eher gering. Laut Consulting Excellence-Studie liegt das hohe Einstiegsgehalt nur auf Rang 11 der Faktoren für die Arbeitgeberwahl.

Auch soziales Engagement wird in der Wirklichkeit gelebt. So gibt es Zeitkonten für soziale Projekte, Teilzeitmodelle für Berater, etwa Take Time bei McKinsey, sowie die Möglichkeit, während Sabbaticals bzw. Educational Leaves das Unternehmen für ein Jahr zu verlassen.

Wo Purpose – der höhere Sinn – entscheidend ist zur Mitarbeiterbindung und im Employer Branding, müssen Consultingfirmen dieses der Generation Y garantieren.

Vielleicht könnten sie dieses pro-aktiver kommunizieren, als es auf der separaten CSR-Seite in der zweiten Navigation zu ‚verstecken.‘ Alle, die in Beratungen arbeiten, wissen: Soziale Verantwortung ist mehr als ein PR-Feigenblatt.

Problem 3: Das Zerrbild der Medien

In der Studie wissen 41% der Befragten zwar um den Berufsstand, ABER ausschließlich aus Zeitungen und Berichten. Selbst hochseriöse Wirtschaftsmedien kolportieren zum Teil ein Zerrbild.

So formuliert etwa Dietmar Student in „McKinsey gegen den Rest der Welt“ im Manager Magazin:

Auch in Friedhofsnähe geraten die Topconsultants aneinander. Ins insolvenznahe Geschäft ist McKinsey erst spät eingestiegen, aber mittlerweile ist man sich auch dafür nicht zu schade.“ oder „Die Consultingfirmen entfernen sich vom reinen Leutevermieten (zu Tagessätzen) und entwickeln sich zu Anbietern verschiedenster Serviceleistungen.“

In „Der Feind in meinem Büro“ beschreibt die FAZ das schlechte Image der Unternehmensberater als arrogante Schnösel und Arbeitsplatzvernichter. Als Erklärungsansatz benennen sie „Menschen wollen keine Veränderungen. Man sollte also keine Dankbarkeit erwarten.

Auch in Kino-Filmen kommen Unternehmensberater nicht gut weg.

Bei “Up in the Air” rettete der Charme eines George Clooney die Figur des Beraters, der eigentlich nur noch ein großes Lebensziel hatte: Nämlich die Zehn-Millionen-Frequent-Flyer-Meilen-Schallmauer zu überwinden.

Und der Film „Toni Erdmann“ ist die Persiflage einer Beraterin und ihrer Kollegen, die zwar tolle Gehälter haben, aber todunglücklich sind und von ihrer Statusverliebtheit nicht lassen können.

Es existieren also weiter viele Klischees, die der Realität aber nicht standhalten. Insofern leidet der Berufsstand nicht nur an einer Prestigekrise, sondern auch an einem Wahrnehmungsverlust.

Was also tun?

Hier kann das Mantra nur lauten: Erklären, erklären, erklären; d.h. konsequent über alle Kommunikationsebenen pro-aktiv für Transparenz sorgen. Desinformation lässt sich nur durch den Gang in die Öffentlichkeit lösen. Es gilt, offensiv daran zu arbeiten, wie die Branche wahrgenommen werden möchte.

Gerade in der Disruption der COVID19-Pandemie geht es um Sichtbarkeit und Vertrauen. Präsenz für Beratungsmarken wie für ihre Lenker ist jetzt doppelt wichtig. Wen man nicht kennt, dem hört man nicht zu. Und wem man nicht hört, dem vertraut man nicht. Und erst Vertrauen entwickelt die Vertrautheit.

Ein anschauliches Beispiel aus der Praxis

Einer meiner Klienten ist der CEO einer Top-Restrukturierungsberatung. Ihm wurde mehrfach unterstellt, ein Kettensäger zu sein. Wir haben seinerzeit gemeinsam beschlossen, dieses in einem LinkedIn-Post aufzugreifen. Nicht abstrakt vom Corporate-Account, sondern seinem persönlichen.

Die überwältigende, positive Reaktion auf seinen Post hat dem pro-aktiv kommunizierenden CEO recht gegeben: Der Notarzt ist die richtige Analogie, nicht der Kettensäger!

Dieser brutale Vorwurf belegt, wie wenig gerade Sanierung und Restrukturierung ‚richtig‘ verstanden werden. Noch immer existiert das Klischee der Männer mit der Axt, die herzlos Stellen abholzen.

Dabei ist das Gegenteil der Fall:

Es wird alles getan, um Unternehmen vor der Insolvenz zu retten und die menschliche Komponente verlangt einen so hohen EQ, wie kaum eine andere Business-Profession.

Was hilft noch in der Marketingstrategie? Nahbar und authentisch sein!

Solange Menschen zu wenig über die Consulting-Profession wissen, verharrt sie in Klischees. Industriespezifische Studien helfen hier nicht. Nur Kommunikationstools und -strategien, die die Berater in ihrer konkreten Arbeit vermitteln. Also Podcasts, Blogs und Vlogs, smartes Employer Branding und authentische LinkedIn-Accounts. Hier sind es nicht nur (retuschierte) Quote Cards, die gerade reussieren, sondern eben auch das abgekämpfte Selfie mit Maske am Flughafen nach einem 14 Stunden-Tag im Team-Room oder bei der Pizza aus der Pappschachtel.

In einer früheren Kolumne habe ich gefragt, ob Beratungen das Potential zur Love Brand haben. Davon bin ich überzeugt. Und kann nur weiter drei entsprechende Strategien ans Herz legen:

  1. Den kontinuierlich sichtbaren Social CEO mit Haltung – auch zu gesellschaftlichen oder politischen Themen
  2. Share the Love’ durch modernes Storytelling
  3. Mitarbeiter als Corporate Influencer auf LinkedIn nutzen; sprich die echte Teamkultur zeigen, um Nahbarkeit und Reichweite für die Arbeitgebermarke zu schaffen.

Ansonsten gilt:

Vermutlich einfach tief Luft holen und die Studie als das betrachten, was sie ist. Nämlich eine Analogie zu Porsche. Auch den Porschefahrern haften übleste Klischees an. Insgeheim aber hätte (fast) jeder gerne einen 911’er.

Oder sich an Franz von Sales, Fürstbischof von Genf im 16. Jahrhundert, halten, der konstatierte:

Reputation is rarely proportioned to virtue”.

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